Samstag, 4. Juli 2009

Wien-Aspern: Seestadt statt Flugfeld

Mit einigem Getöse wurde diese Woche (vgl. ORF, 3.7.) der Spatenstich zur sog. "Seestadt Aspern" vollzogen. Dieser blumige Name steht für den riesigen neuen Stadtteil, der bis 2028 auf dem Gelände des ehem. Flugfelds in Wien-Aspern entstehen soll. Wohnungen für 20000 Menschen und 2000 Arbeitsplätze sollen auf der etwa 2 km2 großen Fläche entstehen - gruppiert um einen künstlichen See. Eigentlich wollte man meinen, daß die Zeit solcher Megasiedlungen vorbei ist, zu oft haben sich solche als städtebauliche Fiaskos herausgestellt. Doch die Verantwortlichen spulen lieber ihre Rhetorik vom europaweit einmaligen Zukunftsprojekt ab.

Flugfeld Aspern Rollbahn

Auf die Sinnhaftigkeit der "Seestadt" -Planung soll hier nicht näher eingegangen, was mir aufstößt ist - wieder einmal - die völlige Traditionslosigkeit, mit der hier vorgegangen wird. Aspern - das war jahrzehntelang das Zentrum der österreichischen Luftfahrt. Bis 1977 war der Flughafen in Betrieb, dann übernahm endgültig Schwechat seine Rolle und die Flughafengebäude wurden geschleift. Anstelle des Aufnahmegebäudes wurde das Motorenwerk von General Motors errichtet. Erhalten blieben die Landebahnen und die Fundamente einiger Nebengebäude.

Flugfeld Aspern Gebaeudefundament

Diese Flächen - gelegentlich als Rennstrecke genutzt, hauptsächlich aber Felder und Wiesen - sind bzw. waren eine Oase. In ihrer Weite und Leere bildeten sie zusammen mit der Erinnerung an den einstigen Betrieb einen faszinierenden Ort. Damit ist es nun vorbei. Das Flugfeld wird getilgt, eine künstliche Stadt, deren Grundstrukturen nicht einmal dem Verlauf der ehemaligen Rollbahnen folgen, aus dem Boden gestampft.
Angemessen wäre es, diese Fläche zum Park- und Erholungsgebiet zu machen - dem Beispiel Wienerberg folgend. Für benötigten Wohnbau stehen gerade im 22. Bezirk genügend Flächen zur Verfügung, die sich - kleinteilig erschlossen - wesentlich besser in die bestehende Bebauung einfügen würden als dieses hart an der Grenze zum Größenwahn stehende Projekt.

Mittwoch, 1. Juli 2009

Rückblick: Abbrüche im ersten Halbjahr 2009

Heute endet die erste Hälfte des Jahres 2009 - Gelegenheit um auf die jüngsten Abbrüche auf dem Gebiet der Industriearchitektur hinzuweisen. Die Verluste auf diesem Gebiet schreiten weiter munter fort...

Wien - Besonders bedauerlich scheint mir der Abriß der ehem. Lohnerwerke in Floridsdorf, Donaufelder Straße 73-79, zuletzt Produktionsstandort der Bombardier GmbH. Floridsdorf hat ja bereits den Großteil der Zeugen seiner großen industriellen Vergangenheit verloren, nun ist auch der traditionelle Standort Lohnerwerke Vergangenheit. Lohner, das legendäre Fahrzeugbauunternehmen, hatte Ende des 19. Jahrhunderts in Floridsdorf seine Werkstätten errichtet, nachdem der bisherige Standort im 9. Bezirk zu klein geworden war (Dort, in der Porzellangasse 2, am ehemaligen Direktionsgebäude prangt übrigens noch immer der Firmenschriftzug). Zur Bedeutung des Unternehmens sei nur angeführt, daß zur Zeit der Jahrhundertwende niemand geringerer als Ferdinand Porsche hier tätig war.
1971 übernahm der kanadische Bombardier-Konzern das Werk und produzierte hier bis voriges Jahr Schienenfahrzeuge. Nach seiner Übersiedlung an einen neuen Standort im 22. Bezirk beschloss die Gemeinde Wien hier die Errichtung einer Wohnhausanlage. Im Februar dieses Jahres schließlich fuhren die Abbruchbagger auf.

Abbruch Lohnerwerke 1

Architektonisch waren die verbliebenen Werkshallen kein Fall für den Denkmalschutz - es handelte sich um Typenbauten aus der Zeit der Jahrhundertwende (wobei: selbst solche Standardbauten sind mittlerweile selten!). Bedauerlich ist trotzdem, dass nun nichts Greifbares mehr an das Pionierunternehmen Lohner in Floridsdorf erinnert - und selbst wenn es im besten Fall eine Strassenbenennung geben sollte, so scheint das doch eher dürftig.

Lohnerwerke

Von Floridsdorf nach Liesing: An der südlichen Wiener Stadtgrenze lag das Gelände der ehem. ÖFA Akkumulatoren GmbH, wo bis 2004 Autobatterien erzeugt wurden. Den dominierenden Mittelpunkt der Anlage bildete das 1917 nach Plänen von Hubert Gessner errichtete Kohlekraftwerk, ein blockhafter Sichtziegelbau mit turmartigen Schlotsockeln, der trotz späterer Umbauten noch immer ein wichtiger Zeuge für das hohe Formbewußtsein dieses Architekten war. Gessner war ein Schüler Otto Wagners und schuf zwischen 1900 und 1930 einige der bedeutendsten Industriebauten des Landes - darunter die vorbildlich gepflegte Sargfabrik in der Breitenfurter Straße (Wien Liesing) und die leider schwer baufälligen Hammerbrotwerke in Schwechat. Seinen beeindruckenden Liesinger Kraftwerksbau kann man seit März überhaupt nicht mehr studieren.

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Dass immer öfter auch Bauwerke der Nachkriegszeit abgebrochen werden (müssen), ist kein Geheimnis. Erwischt hat es nun - fast gleichzeitig - die beiden Postverteilerzentren am West- bzw. Südbahnhof. Dies eine Folge der laufenden "Bahnhofsoffensive" bzw. der Umstrukturierungs-
maßnahmen bei der Post.
Das Postzentrum in der Gasgasse beim Westbahnhof wurde 1951-56 nach Plänen von Josef Langhof errichtet - in den schlichten, eher unauffälligen Formen der Zeit. Friedrich Achleitner äußert sich in seinem Architekturführer lobend über die geschickte Raumorganisation im Inneren - schade ist es vor allem um das komplexe System von Förderbändern und Verteilereinrichtungen, die ohne Zweifel ein technisches Denkmal der 50er Jahre dargestellt haben.

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Ein noch mächtigeres Bauwerk war das Postzentrum beim Südbahnhof - und dementsprechend aufwändig und langwierig gestalteten sich die Abbrucharbeiten. Auch wenn es um den typischen 70er-Jahre-Klotz nicht wirklich schade ist, etwas bedrückend wirken Bilder des sterbenden Gebäudes denn doch...

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Sonntag, 28. Juni 2009

Rodaun / Kaltenleutgeben: Ein Zementwerk wie eine Burg

Wie u.a. der ORF (21.5.) berichtet, gibt es Pläne, das ehemalige Perlmooser Zementwerk in Wien-Rodaun zu schleifen und an seiner Stelle Wohnungen zu errichten. Der Liesinger Bezirksvorsteher wird in diesem Zusammenhang zitiert: "Das Ruinengelände ist potthässlich und verschandelt das ganze Tal."
Es mag sein, dass ihm da nicht wenige spontan zustimmen werden - diesen sei hiermit ein zweiter genauer Blick auf die Anlage empfohlen:
Die gewaltige Struktur, die sich da im engen Tal der Dürren Liesing erhebt, ist ein beeindruckendes Ensemble. Mit seiner Ansammlung von Türmen, Hallen und Silos erinnert es an eine ins Tal gerutschte Höhenburg. Das die Straße überspannende Förderband stellt dabei quasi das Pedant zu einer Zugbrücke dar.

Zementwerk Rodaun

Zudem handelt es sich um einen traditionsreichen Betrieb. Steinbrüche und Kalköfen bestanden hier seit Jahrhunderten. 1896 wurde die "Rodauner Kalk- und Zementfabrik AG" gegründet, die 1938 von der Perlmooser AG übernommen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein massiver Ausbau des Standortes. Das Werk war bis zur Schließung 1996 der wichtigste Arbeitgeber im Tal.

Zementwerk Rodaun 2

Seit über zehn Jahren steht die Anlage also leer und verfällt, ohne dass der Perlmooser-Nachfolger Lafarge eine neue Nutzung eingeleitet hätte. Was mich persönlich nicht stört - was spricht dagegen, die Gemäuer ihrem Ruinenschicksal zu überlassen? Es gibt diesen seltsamen Effekt, daß man bei vielen Zweckbauten erst im stillgelegten Zustand ihren ästhetischen Wert richtig erfasst. Und vielleicht gibt es bei Bauwerken so etwas wie einen "Ruinenwert", der erst zutage tritt, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben. Dieser wäre im Fall des Rodauner Zementwerks unvergleichlich hoch. Als Ruine gesichert und zugänglich gemacht - nicht unähnlich den aufgegebenen Burgen des Mittelalters - wäre das Werk ein spannender Platz für vieles: Industriedenkmal, Abenteuerspielplatz, ungewöhnlicher Veranstaltungsort.
Utopisch? Vermutlich - über kurz oder lange wird die Zementburg wohl einer modernen Wohnhausanlage weichen. Diese wird dann wahrscheinlich so aussehen wie jene Reihenanlagen, die das benachbarte Kaltenleutgeben schon jetzt auf schauerliche Weise verschandeln. Flachdachklötzchen, die wahrlich "potthässlich" sind.

Einleitung

Hier soll abseits des Bekannten Spannendes und Wissenswertes zu den Themen Industriekultur - Architektur - Stadtwandel - zu finden sein. Im Mittelpunkt stehen die "vergessenen Orte" vorrangig Wiens und NIederösterreichs. Verfallene Gebäude, leerstehende Fabriken, rätselhafte Brachen, alle diese magischen Orte, auf die kein Reiseführer hinweist, die von Abriß und Neuverwertung bedroht sind, deren Geschichte es aber wert ist, erzählt und bewahrt zu werden.

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Ja, genau so etwas schwebte...
Ja, genau so etwas schwebte mir vor! Ich empfehle einen...
staubfänger - 15. Jul, 19:32

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Mein Lesestoff

Jonathan Glancey:
Lost Buildings. Demolished-Destroyed-Imagined-Reborn (2009)

Alfred Komarek:
Weinviertel. Tauchgänge im Grünen Meer (1998)

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Wolfgang Burghardt, 1220 Wien, roverandom (at) gmx.at

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