Sonntag, 28. Juni 2009

Rodaun / Kaltenleutgeben: Ein Zementwerk wie eine Burg

Wie u.a. der ORF (21.5.) berichtet, gibt es Pläne, das ehemalige Perlmooser Zementwerk in Wien-Rodaun zu schleifen und an seiner Stelle Wohnungen zu errichten. Der Liesinger Bezirksvorsteher wird in diesem Zusammenhang zitiert: "Das Ruinengelände ist potthässlich und verschandelt das ganze Tal."
Es mag sein, dass ihm da nicht wenige spontan zustimmen werden - diesen sei hiermit ein zweiter genauer Blick auf die Anlage empfohlen:
Die gewaltige Struktur, die sich da im engen Tal der Dürren Liesing erhebt, ist ein beeindruckendes Ensemble. Mit seiner Ansammlung von Türmen, Hallen und Silos erinnert es an eine ins Tal gerutschte Höhenburg. Das die Straße überspannende Förderband stellt dabei quasi das Pedant zu einer Zugbrücke dar.

Zementwerk Rodaun

Zudem handelt es sich um einen traditionsreichen Betrieb. Steinbrüche und Kalköfen bestanden hier seit Jahrhunderten. 1896 wurde die "Rodauner Kalk- und Zementfabrik AG" gegründet, die 1938 von der Perlmooser AG übernommen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein massiver Ausbau des Standortes. Das Werk war bis zur Schließung 1996 der wichtigste Arbeitgeber im Tal.

Zementwerk Rodaun 2

Seit über zehn Jahren steht die Anlage also leer und verfällt, ohne dass der Perlmooser-Nachfolger Lafarge eine neue Nutzung eingeleitet hätte. Was mich persönlich nicht stört - was spricht dagegen, die Gemäuer ihrem Ruinenschicksal zu überlassen? Es gibt diesen seltsamen Effekt, daß man bei vielen Zweckbauten erst im stillgelegten Zustand ihren ästhetischen Wert richtig erfasst. Und vielleicht gibt es bei Bauwerken so etwas wie einen "Ruinenwert", der erst zutage tritt, wenn sie ihren Zweck erfüllt haben. Dieser wäre im Fall des Rodauner Zementwerks unvergleichlich hoch. Als Ruine gesichert und zugänglich gemacht - nicht unähnlich den aufgegebenen Burgen des Mittelalters - wäre das Werk ein spannender Platz für vieles: Industriedenkmal, Abenteuerspielplatz, ungewöhnlicher Veranstaltungsort.
Utopisch? Vermutlich - über kurz oder lange wird die Zementburg wohl einer modernen Wohnhausanlage weichen. Diese wird dann wahrscheinlich so aussehen wie jene Reihenanlagen, die das benachbarte Kaltenleutgeben schon jetzt auf schauerliche Weise verschandeln. Flachdachklötzchen, die wahrlich "potthässlich" sind.

Einleitung

Hier soll abseits des Bekannten Spannendes und Wissenswertes zu den Themen Industriekultur - Architektur - Stadtwandel - zu finden sein. Im Mittelpunkt stehen die "vergessenen Orte" vorrangig Wiens und NIederösterreichs. Verfallene Gebäude, leerstehende Fabriken, rätselhafte Brachen, alle diese magischen Orte, auf die kein Reiseführer hinweist, die von Abriß und Neuverwertung bedroht sind, deren Geschichte es aber wert ist, erzählt und bewahrt zu werden.

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